Auf Streifzug durch das bekannte-unbekannte Ungarn: Komitat Bács-Kiskun

Im Zwischenstromland von Donau und Theiß, in der Großen Ungarischen Tiefebene Alföld gelegen ist das Komitat Bács-Kiskun mit 8362 km2 die größte Verwaltungseinheit in Ungarn. Liegt sie dort, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen? (Mit Bilder von Zoltán Okolicsányi.)

Ja und nein, denn Kecskemét, die ’Hauptstadt’ ist von Budapest aus auf der Autobahn M5 in einer knappen Stunde erreichbar. Es sind gerade mal 90 km; 120 000 Einwohner, dank der boomenden Industrie (u.a. Mercedes und Knorr Bremse) mit Pendlern aus dem Umland, ja auch vielen Budapestern, die ihr Arbeitsleben in Kecskemét verbringen. Arbeitslosigkeit ist schon fast ein Fremdwort.

Was den historischen Stadtkern betrifft, seien an dieser Stelle nur der Jugendstil-Prachtbau Cifra Ház (schmuck, dekoriert), heute Museum, früher Mehrparteienwohnhaus und das József Katona-Theater erwähnt, das als kleine Kopie des Budapester Víg-Komödientheaters gebaut wurde. József Katona (1781–1830), Schriftsteller, sein historisches Drama Banus Bánk ist die Grundlage der gleichnamigen Oper von Ferenc Erkel. Der zweite große Sohn der Stadt ist der Komponist, Volksmusiksammler und Musikpädagoge Zoltán Kodály (1882–1967). In Kecskemét sollten u.a. die Museen für Photographie, Naive Kunst und Spiel-Spielzeug besucht werden. Größere Städte im Komitat sind Baja (deutsches Nationalitätengymnaisum) und Kalocsa (Sitz des Erzbischofs und eine Hochburg des ungarischen Gewürzpaprikas).

In dieser Reportage geht es aber nicht um die Großen, sondern die Kleinen, die nicht zum unbekannten Ungarn gehören sollten, so die drei qualifizierten Spas Tiszakecske, Kiskunhalas und Kiskunmajsa, das Weindorf Hajós, die Spitzenstadt Kiskunhalas, Soltvadkert, das Puszta- und Reiterdorf Bugac und Fülöpjakab, wo sich alles um heilende Pilze dreht.

Auf nach Hajós! Die Gemeinde 81 km süd-westlich von Kecskemét mit 3000 Einwohnern gehört mit den Nachbargemeinden Császártöltés und Nemesnádudvar zu den ’schwäbischen Dorfern’ der Region. Wie bekannt ließ Maria Theresia nach der Türkenzeit die ’Donauschwaben’ in Ungarn ansiedeln. 1720–22 trafen die ersten Siedler aus dem Schwarzwald ein. Aus der Altheimat brachten sie Reben und somit Wein mit.

Hajós ist die einzige Kleinstadt in Ungarn, die ein komplettes Kellerdorf besitzt, d.h. die Kelterhäuser und Weinkeller wurden nicht neben dem Wohnhaus gebaut (siehe Photo). 1200 Weinkeller gibt es in Hajós, das unterirdische Kellerlabyrinth ist noch lange nicht erschlossen.

In Hajós hat jede Familie ihren Weinkeller, wo auch heute nicht gewohnt, sondern die Freizeit verbracht wird (Freizeit + Winzerarbeit). Bekannt ist Hajós für seinen Rotwein Kadarka und die ’Schwaben’ haben ihren Hauswein Schwabenblut, womit auch die echte Hajóser Spezialität der streng riechende, lang gärende Hajóser Quark/Topfen begossen wird. Er soll auch heute noch das Laibgericht des im Weinberg, im Weingarten schwer arbeitenden Winzers sein: Brot mit Quark, Gemüse und Paprika und dazu leichter Kadarka oder Schwabenblut.

Seit 2010 wird das mit EU-Fördermitteln restaurierte und der Öffentlichkeit als Museum und Veranstaltungsort zugängliche Barockschloss, die ehemalige Sommerresidenz des Erzbischofs von Kalocsa, im Hajaóser Rathaus verwaltet, 1739 gebaut diente es bis Anfang des 20. Jahrhunderts dem Erzbischof als Bleibe. Nachher war es Waisenhaus, Kinderheim, Schule und stand viele Jahre, bis 1998 leer (siehe Photo). Seit 2010 können die Dauerausstellungen (Wein, Jagd, Geschichte) und eine Wechselausstellung im Parterre sowie die erzbischöflichen Gemächer im ersten Stock besichtigt werden. Es lohnt sich.

Und es lohnt sich, Hajós anlässlich seiner großen Feste und Feiertage zu besuchen: Sankt Urban wird am letzten Wochenende im Mai, Sankt Emmerich Anfang November und seit 2008 das Erntedankfest als Tag der Stadt, der Gemeinde Hajós, am 20. August, dem Sankt Stephans-Tag gefeiert. Damit verwaiste Weinkeller nicht verfallen, kauft die Selbstverwaltung solche, gerade erst den sog. Notarkeller auf, wo der Fremde bald auf ein Glas Wein einkehren kann.

Auf nach Soltvadkert! 45 km südwestlich von Kecskemét liegt die Kleinstadt mit 8000 Einwohnern, die mit dem Slogan wirbt: Die Stadt des Weines und der Eiscreme. Wein, das versteht jeder, denn die leichten, süffigen edlen Tropfen, die auf dem sandig-lößhaltigen Boden der Tiefebene gedeihen, machen den traditionellen Ungarweinen wie Stierblut und Tokajer seit vielen Jahren Konkurrenz.

Aber Eis? Doch zuerst zu den seriöseren Merkmalen. Anno 1376 erstmals urkundlich erwähnt, blieb auch dieser Siedlung die Türkenzeit und anschließende Verödung nicht erspart. So kamen auch nach Soltvadkert Siedler, die ersten sieben Familien aus Baden-Würtemberg, die im Gepäck die Bibel und die Rebe hatten. Der leichte würzige Weißwein Tausendgut spricht dafür. In Soltvadkert ist die ungarnweit größte Winzervertretung tätig, Weinbau wird auf 2967 ha betrieben, das Familienunternehmen Frittmann bewirtschaftet 60 ha, liefert 30% der ungarischen Weinproduktion und beherrscht 60% des Marktes. Geführt in zweiter Generation von János Frittmann (siehe Photo) und auf dem Rundgang durch sein Imperium betonte er, von anderen Weinregionen nicht abhängig zu sein, ganz im Gegenteil, andere eher von Frittmann. Seit 1989-90 wird konstant viel und immer mehr Wein produziert. Die zahlreichen Diplome an der Wand des Schauraumes sprechen dafür, die Weinverkostung mit den leichtem, fruchtigen Weißwein Sorte Irsai Olivér, gefolgt von einem Rosé Pinot-Noir-Zweigelt, Generosa, einem Cuvée Tausendgut-Traminer und weiteren edlen Tropfen liefern den Beweis.

Was Soltvadkert als Hochburg des Speiseeises betrifft, kann man/frau sich davon in der Konditorei Szent Korona überzeugen. Wer sich zum Eintritt verführen lässt, der lasse alle guten Vorsätze fallen, denn überdimensionierte Kuchen- und Tortenschnitten, Mega-Kreationen von süßen Versuchungen auf ’Bratentellern’ und in Riesenkelchen sollten sich jeweils zwei Besucher teilen. Es ist unmöglich, eine Portion alleine zu schaffen. Im ersten Stock sollte das Konditoreimuseum mit altem Koch- und Backgeschirr als Abstecher in die Vergangenheit besichtigt werden.

Übrigens ist Soltvadkert auch Industriestadt; Zwei Drittel der ungarischen Polyethylenproduktion stammen von hier. Die Freizeit und Ferien verbringen die Soltvadkerter am Vadkerti tó, dem Stinkigen See, der dem schwefelhaltigen Wasser alle Ehre macht. Die 70 ha am See sind das Paradies der Angler und Baderatten. Bis zu 100 000 Gäste kommen in jedem Jahr an den See. Bis zur nächsten Saison haben sich die Stadtväter viel vorgenommen, so neue Nasszellen am Strand und auf dem Campingplatz, neue Rutschen, einen Fitness-Park und Spielplatz u.a. zu bauen, anzulegen.

Auf nach Bugac! Die Gemeinde 35 km südlich von Kecskemét war lange für ihr Gestüt, Turniere im Gespannfahren und den berühmten Puszta-Fünfer bekannt. Man lebte vom Ein-Tages-Tourismus mit Hirten- und Reiterbravouren, Turnieren und Pusztafolklore. Nun erwachte Bugac aus seinem Dornröschenschlaf. Bürgermeister László Szabó setzt gezielt auf Reiternomaden, Betyárvilág, die Welt der ungarischen Robin Hoods, Wallfahrten und das Projekt Goldenes Kloster (siehe Photo). Seit  2016 werden die Grundmauern eines Klosters aus der Árpádenzeit ausgegraben. Es passierte beim Straßenbau, dass Fragmente romanischer Baukunst, roter Marmor, Gold- und Silberschmuck, vergoldete Perlen und Glas, kunstvoll verzierte Bibeldeckel, Münzen aus Venedig, Westeuropa, Armenien, Byzanz, zwei emaillierte Platten eines Reliquiars, vergoldet mit 24-karätigem Gold u.a. geborgen wurden. Vieles davon stammt aus der Zeit der Kreuzzüge. Noch werden die Artefakte und Kleinodien im Museum in Kecskemét aufbewahrt. Bis Ende 2019 sollen bei den Ausgrabungen des dem heiligen Petrus geweihten Klosters eine Straße und Unterkünfte, das Besucherzentrum gebaut werden.

Auf nach Kiskunhalas! 63 km südlich von Kecskemét liegt Kiskunhalas mit 29 000 Einwohner, bislang immer nur die Spitzenstadt genannt. Kennzeichnend für diese Spitzen, die den Brüsseler und venezianischen Spitzen seit dem frühen 20. Jahrhundert ebenbürtig sind, ist, dass sie genäht werden. Sie gelten als Hungarikum und dienen als Geschenk an hohe Staatsgäste, bekamen auf internationalen Veranstaltungen wie Weltausstellungen Preise.

Ganz neu unter den Halaser Sehenswürdigkeiten ist allerdings der vor ein paar Tagen eröffnete neue Trakt des János Thorma Museums mit der Thorma-Galerie und der Bay-Sammlung mit Kunst aus Nagybánya. János Thorma, 1870 in Kiskunhalas geboren, 1937 in Nagybánya (Nord-Rumänien) gestorben ist für viele der Maler großformatiger Gemälde historischer Thematik wie „Erhebe dich, Ungar” und „Die Märtyrer von Arad”. Wer diese Dauerausstellung besichtigt, lernt Thorma als großartigen Impressionisten, als Mitglied der Künstlerkolonie von Nagybánya kennen (siehe Photo). Die an die Übergabe des Museumstraktes gebundene Bay-Sammlung ist die Schenkung des Sammlerehepares Miklós und Éva Bay mit 69 Kunstwerken von 32 Malern und drei Bildhauern, entstanden in der Künstlerkolonie und Malschule Nagybánya.

Zu guter letzt sei noch in die kleine Gemeinde Fülöpjakab 23 km südlich von Kecskemét gelegen eingeladen. Dort geht es um Pilze und damit Gesundheit. Sándor Gyöngyösi ist ein, vielleicht sogar der Guru des biologischen Anbaus von fernöstlichen Heilpilzen in Europa. Ganoderma lucidus, Shii Take, Coprinus Comatus und Hericlom Erinaceus wachsen auf Biosubstrat und werden gemahlen und getrocknet, als Würze für Suppen und ganze Pilzgerichte (etwas teuer), als Pulver in Instantkaffee aus Fair Trade-Provenienz gemischt, als Tee getrunken, zu Kosmetika verarbeitet, vertrieben (siehe Photo). Klinisch getestet, wirken sie antibakteriel und antiviral,  kräftigen Herz und Kreislauf, das Immunsystem und lindern die Nebenwirkung von Krebsbehandlungen.

Diese Heil- und Speisepilze sollen besser als Ginseng wirken und gelten in Fernost, in China und Japan, schon seit 5000 Jahren als Lebenselixier. Sándor Gyöngyösi verkauft seine Produkte persönlich auf dem Budapester Bio-Wochenmarkt und auf Fachveranstaltungen.

Das Komitat Bács-Kiskun entdecken, ist eine Reise wert. Man muss allerdings auf die Straßenverhältnisse achten. Denn verlässt man die Hauptstraßen, rollt das Auto über holperige, schlechte Nebenstraßen. Die Tourismusverantwortlichen wissen es: Infrastruktur muss ausgebaut werden, wenn der Tourismus erfolgreich sein soll.