

Wenige Tage nach der Einweihung der Horthy-Statue enthüllte der reformierte Bischof Gusztáv Bölcskei am Evangelischen Kollegium in der ostungarischen Stadt Debrecen eine Horthy-Gedenktafel. Und in der Ortschaft Gyöm südlich von Budapest trägt seit Neuestem ein Park den Namen des Reichsverwesers. Weitere Horthy-Statuen sollen aufgestellt werden, ausgerechnet auch in Budapest – der Stadt, die Horthy zeitlebens als „judeobolschewistischen Sündenpfuhl” verabscheute: Für Oktober ist die Einweihung eines überlebensgroßen Reiterstandbildes auf dem Budapester Burghügel geplant. Angesichts dessen spricht der Publizist Gábor Czene bereits von einem „schleichenden Horthy-Kult”.
Doch nicht nur der frühere Reichsverweser gelangt in Orbáns Ungarn zu neuen Ehren. Das ungarische Parlament will zum Beispiel den einst als Kriegsverbrecher gesuchten und 1953 in Spanien verstorbenen Blut-und-Boden-Schriftsteller József Nyírö in seiner siebenbürgischen Heimat wiederbestatten lassen – mit einem inoffiziellen Staatsbegräbnis. Nyírö war ein prominenter Kulturideologe unter Horthy und später auch unter dem Schreckensregime der nationalsozialistischen Pfeilkreuzler-Partei von Oktober 1944 bis März 1945, als Zehntausende ungarische Juden auf Todesmärsche geschickt oder massakriert wurden. Im Pfeilkreuzler-Parlament diente Nyírö als Abgeordneter Siebenbürgens, im März 1945 konnte er sich zunächst nach Deutschland und 1950 nach Franco-Spanien absetzen.
Völkisch-nationalistische Renaissance in Ungarn
Nyírös Wiederbestattung war ursprünglich für den Pfingstsonntag geplant, doch die rumänische Regierung verbot die Zeremonie. So fand für den Schriftsteller in der Kleinstadt Odorheiu Secuiesc (ungarisch: Székelyudvarhely) vorerst nur eine ökumenische Andacht statt. Dazu waren – neben der Führung der rechtsextremen Partei Jobbik – Ungarns mächtiger Kulturstaatssekretär Géza Szöcs und mit ihm kein Geringerer als der Parlamentspräsident László Kövér angereist, formal die Nummer zwei im Staat. Kövér benahm sich, als sei das nach dem Ersten Weltkrieg an Rumänien gefallene Siebenbürgen bereits wieder ein Teil Ungarns. Er beschimpfte die rumänische Regierung als „unzivilisiert”, „paranoid”, „hysterisch” und „barbarisch”, weil sie die Begräbniszeremonie verboten hatte, und verkündete, dass man Nyírö so oder so demnächst neu bestatten werde, und zwar vor Ort. Kövérs Fazit: „Zum Sieg bestimmt ist das Volk, das einen Sohn hat, dessen Asche man fürchtet.”
Einige Tage nach der Zeremonie erklärte der ungarische Kulturstaatssekretär Géza Szöcs gegenüber dem Nachrichtenportal index.hu, die Urne mit der Asche des Pfeilkreuzler-Schriftstellers sei nach Rumänien geschmuggelt worden. Es habe einer „Konspiration” bedurft, der Transport der Urne sei „nicht gerade einfach” gewesen. Er selbst habe an der Schmuggelaktion jedoch nicht teilgenommen und wisse auch nicht, wo genau sich die Urne befände. Die Neubestattung von Nyírö werde nun bald stattfinden. Szöcs war zu der Andacht mit einer großen Reisetasche erschienen und hatte sie – während er eine Gedenkrede auf József Nyírö hielt – unter dessen Bildnis gestellt. Ob sich darin die Urne des Pfeilkreuzler-Schriftstellers befand, wollte Szöcs „weder bestätigen noch dementieren”.
Der neue Horthy-Kult und Nyírös Wiederbestattung sind Teil einer völkisch-nationalistischen Renaissance in Ungarn, die Rechtsextreme im Land seit Jahren erfolgreich vorantreiben und die nun auch vom Regierungschef Viktor Orbán und seiner rechtsnational-konservativen Partei Bund Junger Demokraten (Fidesz) eifrig gefördert wird. Manche Beobachter sind regelrecht entsetzt über diese Entwicklung: „Warum stellt sich Fidesz neben Pfeilkreuzler, wie weit ist es mit uns gekommen?”, fragt sich der Politologe Zoltán Somogyi. „Kövér und Szöcs müssten sofort zurücktreten, ansonsten wird es an unserem Land hängen bleiben, dass wir eine Regierung haben, die Nazis unterstützt.”
Solche Forderungen prallen am Regierungslager jedoch ab. Manchen gemäßigten Fidesz-Politikern und Funktionären mag der völkisch-nationalistische Kurs Unbehagen bereiten, aber zumindest nach außen dringt kein Wort der Kritik. Loyalität geht in der Orbán-Partei über alles. So geraten offizielle Interviews mit Regierungsvertretern regelmäßig zu Kunstwerken der Relativierung. Zum Beispiel bei Gergély Pröhle, im ungarischen Außenministerium stellvertretender Staatssekretär für Europaangelegenheiten. Er „kann verstehen”, dass die Rhetorik „mancher politischer Deklarationen” der Orbán-Regierung „in einigen westlichen Ohren etwas prämodern” klingt, aber Ungarn sei nun mal ein anderes Land mit einer anderen Sprache. Die „bürgerlich-konservative Regierung” mit Rechtsextremen und ihrer Ideologie „zu vermischen”, weist Pröhle entschieden zurück: „Das ist in der Weltgeschichte eine bekannte linke Taktik.”
Einer dieser Linken ist der Budapester Anwalt und Aktivist der außerparlamentarischen Opposition Péter Dániel, der 2008 den Verbotsprozess gegen die rechtsextreme paramilitärische Ungarische Garde mitinitiierte. Er beschuldigt die Orbán-Regierung, sie betreibe – ähnlich wie einst Horthy – geradezu besessen eine revisionistische Politik und pflege einen „Salon-Antisemitismus voller Anspielungen”, mit denen permanent „Zionisten und Judeobolschewiken” für alle Probleme Ungarns verantwortlich gemacht würden.
Lynchaufrufe gegen Péter Dániel auf rechtsextremen Internetseiten
Dániel ist in Ungarn mit einigen provokanten Aktionen bekannt geworden. Zum Beispiel beschmierte er einen öffentlichen ausgehängten Text der neuen ungarischen Verfassung mit Ketchup. Auch gegen den Horthy-Kult wollte er ein Zeichen setzen: Am 16. Mai fuhr er zur Horthy-Statue in den Ort Kereki, übergoss sie mit roter Farbe und hängte der Figur ein Schild mit der Aufschrift „Massenmörder – Kriegsverbrecher” um den Hals.
Einige Tage lang beherrschte die Aktion die Schlagzeilen in Ungarn, für die Rechtsextremen ist Dániel seitdem Feindbild Nummer eins. Auf zahlreichen rechtsextremen ungarischen Internetseiten zirkulieren Lynchaufrufe gegen ihn, bei einem öffentlichen Auftritt bekam er kürzlich Polizeischutz, weil sich ein rechtsextremer Lynchmob versammelt hatte. Und als Antwort auf Dániels Aktion gegen die Horthy-Statue wurden in Budapest mehrere Holocaust-Denkmäler geschändet.
Die Gruppen der demokratischen außerparlamentarischen Opposition lehnen den neuen Horthy-Kult zwar ab, doch Dániels Aktion ist umstritten. „Wie man sieht, führt das nur zu einem Statuenkrieg”, sagt Péter Juhász, einer der führenden Aktivisten, der im Herbst 2010 auf Facebook eine erfolgreiche Initiative für mehr Pressefreiheit ins Leben rief. Juhász plädiert für eine konsequente Vergangenheitsaufarbeitung und einen gesellschaftlichen Dialog über Toleranzgrenzen in der Erinnerungskultur. Aber: „Leider findet so ein Dialog derzeit nicht statt”, sagt er resigniert.
Im Gegenteil. Kürzlich verabschiedete die Regierung den neuen Nationalen Grundlehrplan (NAT) für ungarische Schulen. Als Pflichtlektüre sind unter anderem Werke des Pfeilkreuzler-Schriftstellers József Nyírö vorgesehen, außerdem die seines Zeitgenossen und Dichterkollegen Albert Wass, der in Rumänien wegen Kriegsverbrechen in Abwesenheit zum Tode verurteilt wurde und 1998 in den USA starb. Als einige Lehrerverbände gegen die Einbeziehung rechtsextremer und faschistischer Schriftsteller in den Grundlehrplan protestierten, antwortete die Bildungsstaatssekretärin Rózsa Hoffmann knapp, es gehe um Autoren, die zu ihrer Zeit eine große Wirkung gehabt hätten. „Sie haben jetzt einen würdigen Platz im Grundlehrplan erhalten.”