„Ministerpräsident Orbán hat uns rechts überholt”

Gábor Vona: Das ist ein Prozess, den ich seit September 2013 vorantreibe. Überall gibt es Fremdenfeindlichkeit, so auch bei uns. Die Frage ist, wie sich eine Parteiführung dazu verhält. Ich selbst habe mich nicht geändert – auch früher habe ich niemanden wegen seines Glaubens oder seiner Herkunft angegriffen. Ich versuche heute aber, mehr darauf zu achten, diese Haltung auch innerhalb der Partei durchzusetzen. Wir wollen eine Volkspartei werden, die ein breites Spektrum der Gesellschaft spiegelt. Da müssen gewisse Normen eingehalten werden.

Die Welt: Das mag sein, dass es Rassismus überall gibt, bei Jobbik scheint das aber mehr der Fall zu sein als bei anderen. Wieso?

Vona: Viel hängt von dem Bild ab, das sich in der Öffentlichkeit über uns herausgebildet hat. Medien, andere Parteien, jüdische und Roma-Organisationen reagierten viel schärfer, wenn es bei uns zu fremdenfeindlichen Äußerungen kam, als wenn es bei anderen vorkam. Speziell jetzt gibt es besonders heftige Angriffe. Statt zu begrüßen, dass ich versuche, saubere Verhältnisse zu schaffen, will man uns in die Ecke zurückstoßen, in die man uns gestellt hat.

Die Welt: Das klingt jetzt so, als seien alle anderen schuld daran, dass Jobbik in dem Ruf steht, eine Rassistenpartei zu sein – nur nicht die Partei selbst.

Vona: Nein, das wollte ich damit nicht sagen. Was ich sagen möchte, ist, dass jeder bei uns künftig darauf achten muss, keine hasserfüllten Äußerungen zu dulden. Wir haben bei solchen Vorfällen bis jetzt so getan, als sei nichts geschehen, kehrten es unter den Teppich. Ich selbst auch. Aber jetzt sage ich: Genug ist genug. Wer Pogrome gegen Juden möchte, der hat bei uns keinen Platz.

Die Welt: Am besten fangen Sie bei der eigenen Parteiführung an, oder?

Vona: Ich sehe gegenwärtig keinen Bedarf für personelle Änderungen, aber das entscheidet sowieso der Parteikongress. Der nächste wird 2016 stattfinden, und ich vertraue darauf, dass dann eine Führung gewählt wird, die den neuen Kurs erfolgreich fortführen kann.

Die Welt: Wenn Sie doch an personelle Erneuerung denken sollten, da wäre zum Beispiel Jobbik-Vizepräsident Elöd Novák, der immer wieder wegen zweifelhafter Äußerungen über Roma in die Schlagzeilen gerät.

Vona: Was er innerhalb der Partei an Organisationsarbeit leistet, zeigt ihn in einem anderen Licht als die Dinge, die er öffentlich sagt. Er ist seit Langem mit dabei, ist sehr aktiv und fleißig.

Die Welt: In den Medien wird er als ihr Kandidat für das Innenministerium beschrieben.

Vona: Bestimmt nicht. Das ist auch gar nicht sein Fachgebiet.

Die Welt: Dann wäre da Márton Gyöngyösi, der im Parlament forderte, Listen über Juden anzufertigen. Er wird als Ihr Kandidat für das Außenministerium gehandelt.

Vona: Er ist für uns sehr wichtig, stammt aus einer Diplomatenfamilie, hat im Ausland gelebt und hat ein fast angeborenes Talent, außenpolitische Beziehungen zu beurteilen. Wenn wir regieren sollten, würde er eine zentrale Rolle im Außenministerium übernehmen. Für seine unglückliche Formulierung hat er sich entschuldigt. Es ging eigentlich darum, festzustellen, wer im Parlament eine doppelte Staatsbürgerschaft besitzt, nicht nur die israelische, sondern egal welchen Landes. Auch anderswo – etwa in Israel – ist Doppelstaatsbürgerschaft nicht vereinbar mit einem Parlamentsmandat.

Die Welt: In seinen Worten war aber nur von „israelischer” Doppelstaatsbürgerschaft die Rede.

Vona: Das mag daran gelegen haben, dass gerade der Gazakrieg die Nachrichten beherrschte.

Die Welt: Apropos Außenpolitik: Es gab eine Zeit, da verbrannte ein Jobbik-Vizepräsident EU-Fahnen.

Vona: Eine Fahne, nicht mehrere. Das muss man in den Kontext der Gefühlslage jener Zeit setzen. Damals sah sich Ungarn starkem Druck vonseiten der EU ausgesetzt. Hunderttausende Menschen demonstrierten, um der EU zu zeigen: So geht es nicht. Es war sozusagen ein Gefühlsausbruch. Diese Fahnenverbrennung war nicht mit mir abgesprochen. Übrigens würde ich die Verbrennung jeglicher Nationalfahne nicht dulden, aber die EU ist keine Nation.

Die Welt: Würden Sie immer noch aus der EU austreten wollen, wenn Sie eines Tages regieren sollten?

Vona: Wir sind heute so auf die EU angewiesen, dass es wohl gar nicht geht, sonst wäre das Land bankrott. Wir fordern aber eine Änderung des Beitrittsvertrages. Das geht nur über eine Volksabstimmung. Wenn Sie die Bürger heute fragen, ob sie mit der EU unzufrieden sind, werden Sie ein überwältigendes Ja bekommen. Wenn Sie aber fragen, ob die Bürger aus der EU austreten wollen, wird die Antwort wohl Nein sein.

Die Welt: Jobbik ist jetzt zweitgrößte Partei, wird zur Gefahr für die Regierungspartei Fidesz. Manchmal weiß man gar nicht mehr, wer wer ist, so sehr vermischen sich die Positionen – Sie klingen immer zentristischer, Fidesz immer rechter. Welche ist die rechtere Partei?

Vona: Es sieht wirklich so aus, dass Fidesz uns rechts überholt hat, wenn ich mir die jüngsten Vorstöße etwa zur Wiedereinführung der Todesstrafe oder zur Migration ansehe. Die Unterschiede zwischen uns sind aber groß. Fidesz und links die Sozialisten, das sind Parteien des 20. Jahrhunderts. Wir sind deutlich jünger, eine Partei des 21. Jahrhunderts. Einst waren Fidesz und die Sozialisten die Pole des politischen Spektrums, in Zukunft werden das wir und auf der anderen Seite die grün-linke LMP sein.

Die Welt: Würden Sie nach der Wahl 2018 eine Koalition mit Fidesz eingehen?

Vona: Nein. Das wäre das Ende für Jobbik. Nicht nur wegen der inhaltlichen Differenzen, sondern auch weil Fidesz Koalitionspartner erfahrungsgemäß zermahlt. Fidesz ist unser größter Gegner, von dort werden wir am härtesten angegriffen.

Die Welt: Wenn Sie die LMP gut finden – die sieht die griechische Syriza als ihr Vorbild. Sie auch?

Vona: „Links” und „rechts”, das sind veraltete Kategorien des 20. Jahrhunderts. Man könnte sagen, die neue Rechte in Europa ist die neue Linke. Wie Syriza oder Podemos in Spanien Themen angehen, das ist durchaus mit uns vergleichbar. Woher diese Parteien auch kommen, sie sind Ausdruck einer Grundstimmung, dass etwas nicht mehr funktioniert in Europa.

Viktor Orbán ist seit 2010 Ungarns Ministerpräsident. Der Chef der radikal rechten Jobbik-Partei, Gábor Vona, ist vorsichtig mit Nachfolgewünschen Foto: AFP

Foto: AFP Viktor Orbán ist seit 2010 Ungarns Ministerpräsident. Der Chef der radikal rechten Jobbik-Partei, Gábor Vona, ist vorsichtig mit Nachfolgewünschen

Die Welt: 2018 ist Wahl, Sie sind die stärkste Partei nach Fidesz. Können Sie gewinnen? Nach Orbán dann Vona?

Vona: Dafür müssen wir uns noch sehr verändern. Gegenwärtig sind wir immer noch eher eine Bewegung als eine klassische Partei. Wir müssen uns professionalisieren, uns solidere Strukturen geben. Darin liegt auch ein Risiko: Es kann sein, dass die Alteingesessenen, die von Anfang an dabei waren, sich vernachlässigt fühlen. Aber wir kommen nicht darum herum, nicht nur um die Wahlen gewinnen, sondern auch um danach regieren zu können, müssen wir strukturell und auch fachlich professioneller werden. Wir müssen die Fähigkeit entwickeln, jene klugen Köpfe anzusprechen, die in der Lage wären, die Führung des Landes zu schultern.

Die Welt: Sie räumen also ein, dass aus Ihrer Partei heraus zurzeit keine kompetente Regierung gebildet werden kann?

Vona: Das ist ja gar nicht die Aufgabe einer Partei. Sondern sie hat die Aufgabe, der Regierung die gesellschaftliche Unterstützung zu verschaffen. Ich denke an ein Expertenkabinett, falls wir die Wahl gewinnen.

Die Welt: Erst einmal müssen Sie an die Macht kommen. IstViktor Orbán ein Vorbild, haben Sie von ihm gelernt?

Vona: Gute Frage, die hat mir noch niemand gestellt. Ich habe wirklich viel von Orbán gelernt. Ich beobachte, was er macht, man kann natürlich auch von seinen Fehlern lernen. Ich schätze an ihm besonders die Fähigkeit, Kämpfe auszustehen, zu ringen, und selbst, wenn er Rückschläge erlebt, wieder aufzustehen – und am Ende zu gewinnen.