Wiener Schnitzel 1. – Obdachlosen wird das Wohnen beigebracht

Monika Wintersberger-Montorio.Wien, 17. Stadtbezirk, besser gekannt als Hernals. Hier, in der Wurlitzergasse 89  befindet sich in einem riesigen Wohnblock das für Männer eingerichtete Übergangswohnhaus, das von Anfang an für Pflegebedürftige geplant war. Monika Wintersberger-Montorio, Geschäftsführerin der „Wieder Wohnen GmbH“, Tochterunternehmen der obigen FSW-Stiftung (gegründet zwecks der Vorbereitung  und Förderung des eigenständigen Wohnens sowie der Weitervermittlung in eine eigene Wohnung) teilt mir anlässlich unseres Gesprächs mit: eine Spitzenleistung des Wohlstaat Österreichs ist die Betreuung der Wohn- und Obdachlosen. Von den 9 Einrichtungen des „Wieder Wohnens“ sind 6 Übergangswohnhäuser: für Männer, Frauen, Familien und Paare sowie für Jugendliche und junge Erwachsene mit Mehrfachproblematiken. Die Gesellschaft hat noch ein Dauerwohnhaus für Männer, in dem sogar ein Aufenthalt für mehrere Jahre möglich ist, ein eigenes Wohnhaus für Familien, sowie eine Zentrale für die Tages- und Sozialpflege der Obdachlosen. Der „Fonds Soziales Wien“ (FSW) kooperiert mit über 150 Partnerorganisationen in Wien zur sozialen und gesundheitlichen Förderung der Einwohner, der Bewohner der Hauptstadt. Der Fonds und ihre Partnerorganisationen versorgen nicht nur Obdachlose oder diejenige, die sich zeitweilig in Krise befinden (Schuldenfalle!), sondern auch im eigenen Zuhause lebende, die aufgrund ihrer Krankheit, Behinderung oder ihres Alters pflegebedürftig sind und ohne Betreuung möglicherweise sogar sterben würden…

„Die Stadt Wien gibt aus den Steuergeldern der Bürger und Unternehmen eine erfreuliche Summe von 630 Mio. Euro (ca. 176,5 Mrd. Forint!) im Jahr für die Finanzierung von Sozial- und Gesundheitsleistungen aus, sogar auf hohem Niveau – so Frau Wintersberger-Montorio. – An 400 Orten wurden Wohnangebote für 3.800 Personen in Wien geschaffen, unter diesen viele eigenständige Wohnungen, vor allem für sozial schwache Familien. Da es sich dabei nicht um Dauerwohnungen handelt, werden diese gut ausgestatteten, gewarteten, gesunden und von unseren Kollegen regelmäßig kontrollierten Wohneinheiten von rund 5.400 Menschen im Jahr benutzt. Hauptziel unserer Arbeit ist – während wir der Mehrheit der Bedürftigen praktisch erste Hilfe zum Überleben und Durchhalten leisten –, durch die notwendige  Aufklärung, Hilfeleistung und Lösung ihrer Probleme einen Ausweg aus der Notlage zu zeigen. Vielen, zum Beispiel den seit Jahren obdachlos Lebenden müssen wir erneut das Leben unter vier Wänden beibringen: Die Eigenversorgung, die Körperpflege, das Zusammenleben in einer menschlichen Gemeinschaft, das Selbstwertgefühl und die Schätzung der Anderen, also wie man leben und wohnen soll.

Im Büro der Leiterin des Übergangswohnhauses in der Wurlitzergasse kommt die Interpretation des Wortes „Obdachloser“ ins Gespräch. Frau Wintersberger-Montorio und Florian Winkler, Sprecher des „Fonds Soziales Wien“ teilen mir mit, dass man diesbezüglich zwei Gruppen unterscheidet. Die eine lebt wortwörtlich auf der Straße, auf Parkbänken, unter Brücken, auf Bahnhöfen, vor öffentlichen Toiletten, in abzureißenden Gebäuden, in verschrotteten, abgestellten Eisenbahnwägen.

Die Mehrheit dieser Menschen (wenn es nötig wird) pendelt zwischen Krankenhäusern, Pflegeorten und den obigen Einrichtungen, viele wollen sich gar nicht für ordentliche Verhältnisse entscheiden. Angehörige der anderen Gruppe ziehen sich in Nachtquartieren und Notunterkünfte zurück, morgens kehren sie dann „in die Natur“ zurück, um ihre gewohnte Lebensführung fortzusetzen. Unter ihnen gibt es sehr viele Alkohol- und psychisch Kranke, die sich selbst ganz und gar vernachlässigen, sich bloß vegetierend übers Wasser halten, oft unfähig zur Selbstverteidigung, absolut verletzungsanfällig.

„Doch sie sind Menschen und brauchen deshalb Schutz, Betreuung, Hilfe, damit sie früher oder später Fuß fassen können“ – betont Herr Winkler. Es stellt sich heraus, dass es sich dabei nicht ausschließlich um österreichische Staatsbürger geht. Als wir das Heim in Hernals besichtigen, fällt dem Journalisten auf einer Zimmertür ein Türschild mit einem ungarischen Namen auf. Der Bewohner ist nicht zu Hause, meine Gesprächspartner dürfen mir aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen nichts Wesentliches mitteilen, außer, dass er ein ehrgeiziger, ordnungsliebender Arbeitssuchende sei.

Auch die Finanzen kommen ins Gespräch. Von den aus Steuergeldern finanzierten Obdachlosenfonds erhalten nicht nur die zu einem strengen Budget und Abrechnung verpflichtete gemeinnützige Gesellschaft einen Betrag – für die Finanzierung ihrer laufenden Kosten und Wartung der Immobilien sowie die Löhne der Mitarbeiter – sondern auch die Pflegegäste. Pro Person erhält man 744 Euro im Monat. Davon werden für Miete und Nebenkosten 186 Euro gleich abgezogen.

„Es ist sehr wichtig, der Mehrheit klar zu machen, dass für die Wohnung bezahlt werden muss, sie ist keine Leistung – erklärt Monika Wintersberger-Montorio. – Mit der nach einer vorherigen Umfeldsstudie zu uns geschickten Person wird bei der Vorstellung mitgeteilt, dass dies keine Eigentumswohnung ist. Die Miete muss unbedingt bezahlt werden, am einfachsten wird sie von uns gleich vom Gehalt abgezogen. Wir machen es verständlich, dass man sogar weggeschickt werden kann, wenn man seinen Bezirk, sein Zimmer oder sich selbst vernachlässigt, nicht putzt, sich selbst nicht wäscht, Müll anhäuft oder sich unverträglich oder Angst einflößend verhält. Belohnung für ein ordentliches Verhalten und Kooperation sind die Fürsorge der Betreuer, die Hilfe der Gesellschaft, die Arbeitsvermittlung. Das Letztere ist wohl das Schwierigste – so die Direktorin. – Gebildete und Handwerker haben durchaus einen Vorsprung, wir haben mehrmals sogar studierte Einwohner gehabt. Selbstverständlich unterstützen wir alle, die studieren möchten. Es kam vor, dass man länger bei uns blieb, weil sein Leben nicht besser wurde.“Bezüglich des Schauplatzes unseres Gesprächs, des Gebäudes in der Wurlitzergasse erfahre ich, dass Wien die Sozialhilfe für Obdachlosen – vor allen durch die Finanzmittel der Stiftung Rotschild – bereits vor 100 Jahren begonnen hat. Damals war es modisch, ein Bett zu mieten. Arbeitnehmer in der Stadt und Umgebung, die keine eigene Wohnung hatten und die im Vergleich zu ihren Löhnen hohe Miete nicht bezahlen konnten, mieteten wortwörtlich ein Bett. Die ein wenig Wohlhabender stellten in den Zimmern ihrer Wohnung Bette auf, und vermieteten sie in wechselnden Schichten für Arbeiter. So schlief im Bett des tagsüber Arbeitenden einer, der Nachtschicht hatte und umgekehrt. Diese unselige Situation wollte die Kaiserstadt mit Gründung von Obdachlosenunterkünften lösen.

Das System von heute gibt dem Menschen, Frau, Mann, Jugendliche oder Familien, unvergleichbar mehr. Eine Möglichkeit aus dem Tiefpunkt herauszukommen. Wenn man nämlich einen sicheren Dach über dem Kopf hat, wenn man als Mensch behandelt wird, als Herr und Frau angesprochen wird, wenn man sich nicht fürchten muss, dass noch Ärmere vom Parkbank, oder unter der Brücke sein Vermögen, seinen Kram klauen, wenn einem getraut wird, und wenn er das Geld (die Sozialhilfe) für den eigenen Lebensunterhalt selbst einteilen kann, wenn er wieder für sich selbst, seine Mitbewohner, seine Familie Verantwortung tragen und wieder als Mensch leben kann, dann stehen die Chancen zum Festhalten und Ausbrechen gut.

Der größte Erfolg für die Angestellten und ehrenamtliche Mitarbeiter des „Fonds Soziales Wien“ und des „Wiener Wohnens“ ist, wenn sie sich von einem Pflegegast verabschieden, weil er im Leben wieder Fuß gefasst hat, wieder Arbeit, bezahlbares Zuhause, eine Partnerin, eine Gemeinschaft gefunden hat. „Gäbe es nur solche, wäre das Bild zu schön – sagt Monika Wintersberger-Montorio, die das reale Leben und die Menschen aufgrund ihrer jahrzehntelangen Erfahrung gut kennt. – Nicht alle sind nämlich fähig, wieder ins Leben zurückzukehren. Ein Teil der hier Bleibenden ist wegen ihres Alters und Gesundheitszustandes unfähig, ein neues Leben zu beginnen, dem anderen Teil fehlen die Wille, die Mut, die Mannhaftigkeit und die Seelenstärke. Sie sind für immer auf die Unterstützung der Gesellschaft angewiesen, ziehen in die für sie eingerichteten „sozialen Eigenheime“ ein wo sie unter ähnlichen Verhältnissen leben können, wie hier. Hauptsache: sie können als Menschen leben, und nicht unter dem freien Himmel, nicht bloß vegetierend, als Geschöpfe, die verletzlicher sind als Neugeborene…“

Unser Artikel konnte unter Mitwirkung von Compress, dem Verbindungsbüro der Stadt Wien verfasst werden. Vielen Dank dafür! (Übersetzung: Kinga Veronika Molnár)