„Für echte Flüchtlinge brauchen wir keine Quote“

München. Péter Szijjártó, Ungarns Ministers für Außenhandel und Auswärtige Angelegenheiten, sieht keine Notwendigkeit für eine EU-Flüchtlingsquote, solange es sich um „echte Flüchtlinge“handle. Wirtschaftsflüchtlinge akzeptiere sein Land nicht.

Ungarn hat vor 25 Jahren mit dem Abbau des Grenzzauns zu Österreich den Kalten Krieg beendet. Nun baut Ihr Land einen neuen Grenzzaun zu Serbien, um Flüchtlinge nicht ins Land kommen zu lassen. Wie geht Ungarn mit der Kritik daran um?

Szíjjártó: Die größte Herausforderung für uns ist die illegale Migration. Wir haben dafür in Europa noch keine effektive gemeinsame Position gefunden. Es geht um zwei Dinge: Wir müssen Ungarn und die ungarische Bevölkerung schützen. Und weil wir eine Schengen-Außengrenze haben, müssen wir auch ganz Europa schützen. Hier müssen wir klar unterscheiden: Zwischen Flüchtlingen und Wirtschaftsflüchtlingen. Ungarn hat in der Vergangenheit echten Flüchtlingen immer Obhut gegeben – und wird das auch in Zukunft tun. Aber Wirtschaftsflüchtlinge akzeptieren wir nicht. Gerade haben wir die Zahl von 100 000 Migranten erreicht. Von allen Mitgliedstaaten der EU sind die meisten nach Ungarn gekommen. Wir müssen uns irgendwie dagegen schützen. Es gab keine andere Lösung als ein physisches Hindernis zu errichten. Wir fühlen uns doppelt unter Druck: Denn die Flüchtlinge, die unser Land verlassen, können nach EU-Recht wieder zu uns zurückgeschickt werden. Dabei sind wir nicht unbedingt das erste EU-Land, das die Flüchtlinge betreten – sie kommen über den Westbalkan nach Ungarn, viele davon waren zuvor in Griechenland. Dort werden sie aber nicht registriert. Wir sind in einer Zange.

Warum ist Ungarn dann gegen eine verbindliche Quote zur Verteilung von Flüchtlingen in ganz Europa? Da besonders viele in Ungarn ankommen, würde ihr Land davon profitieren.

Szíjjártó: Man muss die Flüchtlinge von uns wegnehmen, sie nicht zu uns zurückschicken. Deshalb sagen wir nein.

Ungarn hätte also am liebsten gar keine Flüchtlinge? Eine Kampagne Ihres Regierungschefs Victor Orban legt das nahe. Ist das nicht uneuropäisch?

Szíjjártó: Ungarn hat immer Flüchtlinge angenommen, die aus politischen oder religiösen Gründen fliehen mussten, und wird das auch weiterhin tun. Darüber sprechen wir zu Hause aber nicht laut – denn das gefährdet die Akzeptanz. Es sind die Wirtschaftsflüchtlinge, die Europa vor ein unlösbares Problem stellen. Die Lösung dieses Problems der Wirtschaftsflüchtlinge liegt deshalb nicht in Europa – sondern außerhalb Europas. Wir, die Länder Europas, schicken Milliarden-Hilfen in die Herkunftsländer der Wirtschaftsflüchtlinge. Und das ohne die Bedingung, die Auswanderung von dort zu beenden. Das sollten wir ändern. Wir sollten nicht über Quoten reden, sondern darüber, wie die Probleme vor Ort gelöst werden. Was echte Flüchtlinge angeht, brauchen wir keine Quote: Wir nehmen sie in Ungarn gerne auf.

Aus Europa und den USA gibt es viel Kritik, ihr Land schlage einen undemokratischen Weg ein – der Nationalismus blühe, Pressefreiheit und Bürgerrechte würden eingeschränkt, es gibt Überlegungen, die Todesstrafe wieder einzuführen, die Unabhängigkeit der Justiz gilt als gefährdet. Will Ungarn Teil der EU bleiben?

Szíjjártó: Ungarn ist eine europäische Demokratie. Ungarn war in der Vergangenheit Teil Europas und wird es auch in Zukunft bleiben. Die Vorurteile, die Sie gegen Ungarn äußern, halte ich aber für ungerecht. Es stimmt nicht, dass die Medien in Ungarn unterdrückt werden. Es stimmt auch nicht, dass die Opposition unterdrückt wird. Es ist schwer für uns, gegen Vorurteile zu kämpfen, die aus Europa oder den USA kommen. Diskussionen über Vorurteile kann man nicht führen. Wir sind aber jederzeit bereit, über Konkretes zu sprechen. Und eines ist klar: Die Maßnahmen, die unsere Regierung getroffen hat, treffen bei den Menschen in Ungarn auf hohe Zustimmung. Um Ihre Bundeskanzlerin zu zitieren: Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Innerhalb der EU hat Ungarn die zweitgrößte Wirtschaftswachstumsrate. Unsere Staatsschulden sinken, unser Haushaltsdefizit liegt unter drei Prozent. Und das, obwohl wir2010 in einer schlimmeren Situation steckten als Griechenland. Man sollte uns nicht immer nur kritisieren, sondern mal sehen, wo wir heute stehen.

Europa ist mehr als Wirtschaft. Da geht es auch um europäische Werte. Die Todesstrafe passt nicht zu Europa.

Szíjjártó: Die Frage der Todesstrafe kam in Ungarn nach einem brutalen Verbrechen auf. Die Wiedereinführung der Todesstrafe war nichts, das die Regierung betrieben hat – die Menschen haben darüber gesprochen. Eine Demokratie muss solche Diskussionen aber aushalten. Die Regierung ihrerseits hat klar gemacht, dass sie in keiner Weise plant, die Todesstrafe wiedereinzuführen.

EU-Kommissionspräsident Jean Claude Juncker hat Ihren Staatschef Orban kürzlich mit dem Hitlergruß und den Worten „hallo, Diktator“begrüßt. Fanden die Ungarn das witzig?

Szíjjártó: Ich denke, diese Geste und diese Worte sagen vor allem über denjenigen etwas aus, der sie gemacht hat. Victor Orban ist ein echter Demokrat. Er war sechsmal Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten. Dreimal hat er verloren, dreimal gewonnen – zweimal davon sogar mit einer ZweidrittelMehrheit. Er hat, als er verloren hatte, weder das Land noch seine Wähler verraten, er ist nicht aus der Politik ausgestiegen. Er hat Niederlagen als Demokrat akzeptiert und ist in der Politik geblieben, um weiter für sein Land zu kämpfen. Man kann ihn mögen oder auch nicht: Aber er hat sein Amt nicht in der Lotterie gewonnen, sondern in demokratischen Wahlen.

Orban, so heißt es, bewundere Wladimir Putins Russland. Wieviel Verständnis gibt es in Ungarn für das harte Vorgehen Putins auf der Krim und in der Ukraine?

Szíjjártó: Ungarn unterstützt die Ukraine sehr stark. Wir geben die fünft meisten Beobachter innerhalb der Beobachtermission der OSZE und unterstützen die Institutionen in der Karpato-Ukraine mit mehreren hundert Millionen Forint (Anm.: 100 Mio. Forint haben den Gegenwert von rund 325 000 Euro). Gleichwohl: 85 Prozent unserer Gasversorgung stammt aus Russland, Russland war unser zweitwichtigster Handelspartner. Wegen der Sanktionen gegen Russland halbiert sich unser Export nach Russland. Aber wir halten uns an die gemeinsamen europäischen Entscheidungen. Europa kann nur dann wettbewerbsfähig sein, wenn der westliche und der östliche Teil dieses Kontinents zusammenarbeiten. Ihre Kanzlerin hat kürzlich etwas gesagt, das ich für richtungsweisend halte: Wir sollten von Lissabon bis Wladiwostok einen gemeinsamen Wirtschaftsraum schaffen.

Die Grenzen von Staaten, ihre Souveränität und ihre Gebiete dürfen nicht angetastet werden. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ist in Griechenland fast doppelt so hoch wie in Ungarn. Dennoch spricht Griechenland von einer humanitären Katastrophe. Wieviel Verständnis hat man in Ihrem Land für Griechenland?

Szíjjártó: Ganz einfach: Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht.

Ist der Euro-Beitritt für Ungarn weiter ein erstrebenswertes Ziel?

Szíjjártó: Wer der EU beitritt, sollte auch der Euro-Zone beitreten. Aber es ist klar: Wenn jemand zu früh der Euro-Zone beitritt, dann gefährdet er nicht nur sich selbst, sondern die gesamte Euro-Zone. Ungarn muss erst noch stärker werden. Und wir brauchen einen gesellschaftlichen Konsens für den Euro. Denn die Verfassung schreibt uns den Forint als nationale Währung vor. Um die Verfassung zu ändern, bedarf es einer Zweidrittelmehrheit. Ich kann nicht sagen, wann es soweit sein wird.

Interview: Alexander Kain/F.: dpa